Polyphone Synthesizer   top

 

Der Fortschritt bei den Keyboards war nicht mehr aufzuhalten. Sicher ist sein Verlauf mit der ebenso rasanten Entwicklung im Computerlager zu sehen. Integrierte Schaltkreise (ICs) benötigten immer weniger Raum. Der Trend ging in Richtung Polyphonie (= Vielstimmigkeit), die Möglichkeit, auf dem Synthesizer wie auf der Orgel mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen zu lassen. Auch hier war es Moog, dem die Vorreiterstellung zukam. Mit seinem Polymoog, der 1976 herauskam, erfüllte er die Wünsche vieler Musiker, mit den Synthiesounds auch breite Klangteppiche legen zu können.

 

Kurz darauf folgten auch andere Hersteller mit polyphonen Synthesizern, etwa Sequential mit dem legendären Prophet V, Korg mit dem PS 3100 oder Yamaha mit dem CS 80. Allerdings hieß polyphon durchaus nicht, dass man alle Tasten gleichzeitig erklingen lassen konnte. Der Prophet war lediglich fünfstimmig polyphon, der CS 80 achtstimmig. Nur die Korg-Modelle und der Polymoog waren vollpolyphon, beim Korg gab's damals 48, bei Moog gar 71 Stimmen. Nun kann man einwenden, dass man so viele Finger doch gar nicht gleichzeitig zur Verfügung hat. Aber es könnte doch mal sein, dass man eine Soundeinstellung hat, bei der vorausgehende Töne gehalten werden sollen. Das ist aber nur bei voller Polyphonie möglich, beim Prophet würden beim Halten von mehr als fünf Tönen dann die neu angeschlagenen erklingen.

 

Korg PS3100

 

Nun hat man dem Polymoog vorgeworfen, dass er gar kein richtiger Synthesizer war, weil er mit der Frequenzteller-Schaltung arbeitet. Er besaß nämlich nur 12x2 Master-Oszillatoren in der untersten Oktave. Aber man überlege mal, welch technischer Aufwand nötig gewesen wäre bei 7-12 Oszillatoren. Allerdings hatte die Polymoog-Schaltung noch andere Feinheiten, etwa einen speziell entwickelten Chip mit Mehrfachfunktion, so dass im Endeffekt sicher das Argument der Moog-Ingenieure richtig ist, es komme schließlich nicht darauf an, wie man einen Ton erzeuge, sondern was der Musiker höre. Und das war überzeugend. Allerdings war der Klang eines einzelnen Polymoog-Tones nicht ganz so fett wie beim Minimoog, aber der hatte eben auch drei Oszis.

In der Zeit des Polymoogs entstand auch der erste rein digitale Synthesizer. Das war der RMI Keyboard Computer KCII, den man 1977 bei uns für schlappe 20.000 DM erwerben konnte. Kein Wunder, dass das Ding nur ein Geheimtipp für Großkapitalisten blieb. Der Name des Gerätes gibt schon den Hinweis auf den Unterschied zwischen analoger und digitaler Klangerzeugung. All die Filter und Schaltkreise des analogen Gerätes fehlen beim digitalen Synthesizer. Bei ihm werden rechnerisch ermittelte Grundwellenformen gespeichert. Aus diesen können neue Wellenformen und Lautstärkeverläufe errechnet werden. Es geschieht alles genau wie in einem Computer,

Und noch ein weiterer Unterschied: Während die analogen Synthies ihre Klänge durch subtraktive Synthese erreichen, sind digitale Synthesizer in der Lage, Sounds durch additive Synthese zu erzeugen. Subtraktiv heißt, dass aus Grundwellenformen durch Herausfiltern neue Klänge entstehen. Beim additiven Verfahren werden durch Zusammenfügen von Basiswellenformen neue entwickelt. In dieser Hinsicht stand der RMI allein auf weiter Flur.

 


Digitale Synthesizer   top

 

Bis etwa 1984 noch beherrschten die analogen Synthesizer in allen Variationen den Markt. In diesen allerdings hatten die japanischen Hersteller sich förmlich hineingeboomt und boten fast monatlich neue erweiterte Modelle zu erstaunlich niedrigen Preisen an. Etablierte Firmen wie Moog und Sequential konnten da nicht mithalten oder hatten die Entwicklung verschlafen. Zum Bedauern vieler Musiker verschwanden sie in der Versenkung.

 

Eine neue Synthesizer-Aera brach an. Die digitalen Geräte waren auf dem Vormarsch. Trotz der auch heute noch anerkannten Stärken der analogen Synthesizer bescherten sie den Musikern neue Klangwelten, angefangen beim DX 7 von Yamaha. Insbesondere bestachen die neuen Synthies durch die glasklaren und transparenten Sounds im Bereich der percussiven Klänge, etwa bei Klavier- oder Glockennachbildungen. Auch die neue Art der Klangherstellung durch die Frequenzmodulation (FM-Synthese) ließ viele Keyboarder nächtelang nicht schlafen.

 

Die digitale Ebene der neuen Keyboards brachte einige Vorteile: die Sounds konnten abgespeichert oder eingeladen werden. Außerdem war es durch eine neue Norm (siehe Midi) nunmehr möglich, Keyboards auch verschiedener Gerätehersteller miteinander zu verkoppeln oder sie per Computer anzusteuern. Das kurbelte wiederum den Software-Markt gewaltig an. Lade-, Bearbeitungs- und Sequenzerprogramme waren plötzlich erhältlich, zunächst für den C-64 von Commodore. Bald aber wurde hier in Deutschland der Atari ST zum führenden Steuercomputer für die Keyboard-Software.

 

Und es bleib nicht bei den Keyboards. Rund um die Tasten türmten sich immer mehr ergänzende Geräte auf. Expander erweiterten das Klangangebot des Keyboards um Hundertschaften. Ein Expander ist ein Synthesizer ohne Tastatur, der von einem anderen MIDI-Keyboard via MIDI angesteuert werden kann. Spezielle Masterkeyboards wurden entwickelt, die keine eigene Klangerzeugung besaßen, sondern ausgefeilte Möglichkeiten zur Ansteuerung von Expandern boten. Drumcomputer brachten einem den nachbarfreundlichen Trommler ins Haus.

 

Die Übersicht über die Entstehung der Klänge war allerdings auf diesen digitalen Anlagen schwer zu gewinnen. Clevere Sound-Profis nutzten das aus und boten komplette Soundpakete auf Diskette oder Eprom zum Kauf an. Nachteil dabei war, dass nun bald alle DX-7-Spieler die gleichen Klänge benutzten, so dass man irgendwann genug davon hatte.

 

Auch setzten sich immer häufiger Expander durch, die reine Preset-Geräte waren, d.h. in ihnen konnte man keine Klänge erstellen oder bearbeiten, sondern nur fertige Klänge abrufen. Beim sensationell günstigen FB-01 von Yamaha standen fünf Soundbänke mit je 48 Sounds zur Verfügung. Der Oberheim Matrix 1000 kam gleich mit 1000 Klängen daher. In der persönlichen Praxis habe ich festgestellt, dass diese Vielfalt so doll gar nicht ist, weil man am Ende doch nur die Hand voll Sounds verwendet, die einem gut ins eigene Konzept passen.

 

Wer nun glaubt, dass damit die Keyboardentwicklung zu einem Ende gekommen ist, täuscht sich. Es geht weiter. Die letzten Jahre haben uns die Sampler beschert. Sampler sind digitale Geräte, die in der Lage sind, beliebige Klänge aufzunehmen und zu speichern. Die Aufnahme geschieht aber nicht wie beim Tonband, sondern wiederum digital. Das Schallereignis kann mit einem Mikrofon oder einer anderen beliebigen Schallquelle aufgefangen und im Sampler zu einer computergerechten Information gewandelt werden. Anschließend kann man mit einem Keyboard diese Information aus dem Speicherchip des Samplers abrufen, das digitale Ereignis wird wieder gewandelt und über einen Verstärker hörbar gemacht. Es passiert in einem Sampler genau das, was uns mittlerweile durch CD oder CD-Brenner bekannt ist.

 

So ist es also möglich, in das Sampler-Mikrofon heftig hinein zu husten, es abzuspeichern und anschließend auf dem Keyboard in allen Oktaven zu spielen. Die Klangqualität hängt dabei von der Speichergröße und dem Auflösevermögen (sampling rate) des Samplers ab. Die Firma Akai, ursprünglich ein HiFi-Hersteller, brachte ca. 1985 mit dem SG12 den ersten erschwinglichen und leistungsfähigen Sampler heraus. Auch Ensonique machte sich einen Namen.

Innerhalb weniger Jahre sind erstaunliche Sampler auf den Markt gekommen, die hauptsächlich für Natursounds eingesetzt werden. Dies ist auf die immer ausgedehntere Speicherfähigkeit neuerer Computerchips zurückzuführen. Es ist kein Problem, mit einem Sampler ganze Orchester zu ersetzen. Vielfach geschieht das in der Plattenindustrie auch. Allerdings wird dort mit den Computersystemen Fairlight oder Synclavier gearbeitet, die beide sündhaft teuer sind.

 

Fairlight III

  

Im Zuge der erweiterten Software fürs Recording ist es allerdings inzwischen auch möglich, das ganze Sampling-Verfahren über geeignete Programme laufen zu lassen. Es gibt sowohl Software als reine Sample-Player, als auch für das eigene Aufnehmen und Bearbeiten von Samples.

 


Workstations   top

 

Nachdem nun in wenigen Jahren das Gebirge der Klangkästen rings um den gequälten Keyboarder bedrohlich angewachsen ist, hat die Musikindustrie das nächste Kapitel aufgeschlagen. Bitte schön, lieber Keyboarder, jetzt ist es an der Zeit, dass du den ganzen teuer erkauften Krempel schleunigst verhökerst und dich in den neuen Trend einreihst!

 

Workstations sind angesagt! Arbeitsstationen sollen alles gleichzeitig in einem Gerät bieten: Masterkeyboard, Expander, Sampler, Drumcomputer, Sequenzer, ausgedehnte MIDI-Funktionen. Nur noch ein einsames Tasteninstrument, das uns rundum glücklich macht. Nie wieder brauchen wir etwas anderes, oder? Das wiederum muss jeder für sich entscheiden. Workstations wurden der Renner. Korg setzte mit der M1 einen Standard. Kaum eine Firma, die ihr neues Keyboard nicht irgendwie Workstation nannte. 

 

Korg M1

  

Ergänzen möchte ich noch, dass alle diese Keyboard-Entwicklungen nicht unbedingt auf die Gruppe "Bandmusiker" abzielen, sondern dass sich eine ganz andere Zielgruppe aufgetan hat. Das sind die so genannten "Homerecorder", also Musiker, die zu Hause allein im Kämmerlein (das manchmal ein ausgewachsenes Tonstudio ist) ihre Musik aufnehmen und derlei ausgefuchste Geräte dabei natürlich vorzüglich einsetzen können, weil man damit jedwedes Instrument zur Verfügung hat und selbst in aller Ruhe die Sounds einspielen kann.

 

Aber die digitale Entwicklung ist an den anderen Bandmusikern auch nicht spurlos vorbei gegangen. Durch spezielle Mikrofone, die der Drummer an seinem Kit befestigt, kann er durch MIDI elektronische Drums, Sampler oder sogar Expander ansteuern (triggern). Das tollste Ergebnis bringt das umgekehrte Verfahren, indem der Drummer auf E-Drums spielt und in einem Sampler Natursounds erklingen lässt, die er ja eigentlich direkt spielen könnte. Da wird die Sache jedenfalls für mich doch fragwürdig.

 

Der midifizierte Gitarrist hingegen ist locker in der Lage, mit normalem Gitarrenspiel Synthies jubeln zu lassen. Natürlich muss die Gitarre besonders vorbereitet sein. Und auch Sänger können ohne weiteres mit entsprechender Ausrüstung per Mikrofon Bläser, Streicher oder Chöre erwecken.

 

So befinden wir uns gegenwärtig im Schlaraffenland der Musik. Alles ist möglich. Grenzen sind nicht zu erkennen. Doch seltsamerweise ist dennoch ein Ergebnis der Hochtechnologie auszumachen. Viele Musiker - gerade auch die jungen - besinnen sich wieder auf die reine Lehre vom Instrumentalspiel, bauen plötzlich wieder Marshalltürme auf oder suchen nach den alten Hammond-Sounds und spielen geraden Rock oder Blues. Die Keyboarder entdecken wieder Klavier und Flügel. Und nicht von ungefähr taucht aus der Versenkung das gute alte E-Piano von Fender-Rhodes (zwar bei einer anderen Firma und nun digitalisiert) mit seinem unvergessenen und unverkennbaren Sound auf, den so viele Programmierer auf dem DX-7 so gerne hingekriegt hätten. Tröstlich, dass es in der Welt der Tasten Klänge gibt, ohne die die Rockmusik ärmer wäre.

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